Meldung vom: 19. Februar 2020, 12:00 Uhr | Verfasser/in: Axel Burchardt/Helge Dauchert
Das aktuelle Jahresgutachten der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) ist heute Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin übergeben worden. Es widmet sich den Themen Cybersicherheit, China-Kompetenz und den Innovationsleistungen Ostdeutschlands. Kurzgefasst kommt die Kommission, deren Vorsitz Prof. Dr. Uwe Cantner von der Universität Jena innehat, zu folgenden Ergebnissen:
„Die fortschreitende Digitalisierung und digitale Vernetzung bieten neue Angriffspunkte auf innovative Unternehmen. Die Mehrheit der innovativen deutschen Unternehmen in der Informationswirtschaft und im verarbeitenden Gewerbe sieht deshalb einen hohen Schutzbedarf ihrer IT für Innovationstätigkeiten. Außerdem geht über die Hälfte dieser innovativen Unternehmen davon aus, dass die Gefahr durch Cyberangriffe auf ihr Unternehmen in den kommenden Jahren weiter zunehmen wird“, so der Vorsitzende der EFI, Professor Uwe Cantner von der Universität Jena.
Die Innovationsaktivitäten der Unternehmen seien von dieser Gefahr direkt betroffen (siehe Kasten) und es ergäben sich aus Cyberangriffen mittelbar negative Auswirkungen auf das wirtschaftliche Wachstum Deutschlands. „Das gilt insbesondere auch für den Wachstumsbeitrag digitaler Zukunftstechnologien wie der künstlichen Intelligenz oder des Internets der Dinge, denn der Erfolg dieser Technologien hängt nicht zuletzt von ihrer Sicherheit ab“, wie Professorin Irene Bertschek vom ZEW Mannheim und Mitglied der EFI erklärt.
Befragung zu Cybersicherheit und Innovationen: Die Expertenkommission ließ untersuchen, ob sich die Bedrohung durch Cyberangriffe auf die Innovationsaktivitäten der Unternehmen auswirkt: Eine im Auftrag der EFI durchgeführte repräsentative Umfrage bei Unternehmen in der Informationswirtschaft und im verarbeitenden Gewerbe im dritten Quartal 2019 zeigt zwar, dass 64 Prozent der Unternehmen keine Beeinflussung ihrer Innovationsprojekte durch die Gefahr eines Cyberangriffs sehen. Bei immerhin rund 30 Prozent der Unternehmen verzögern sich jedoch existierende Innovationsprojekte wegen der Gefahr eines Cyberangriffs. Bei rund 17 Prozent der Unternehmen werden geplante Innovationsprojekte durch die Gefahr eines Cyberangriffs erst gar nicht begonnen. Rund 12,5 Prozent der Unternehmen planen aus diesem Grund sogar keine neuen Innovationsprojekte. |
Die Cybersicherheit ist wiederum selbst Gegenstand von Innovationen und trägt mit ihren Produkten und Dienstleistungen zu wirtschaftlichem Wachstum und Wohlstand in Deutschland bei. Demnach belief sich die Bruttowertschöpfung der deutschen IT-Sicherheitswirtschaft im Jahr 2017 auf 15,5 Milliarden Euro und machte damit 14,3 Prozent an der gesamten IT-Branche aus (108,6 Milliarden Euro). Von 2010 bis 2017 wuchs die Bruttowertschöpfung in der IT-Sicherheitswirtschaft nominal um durchschnittlich 5,6 Prozent pro Jahr, stärker als die IT-Branche insgesamt oder die Gesamtwirtschaft.
Trotzdem liegt Deutschland bei Patentanmeldungen im Bereich der Cybersicherheit mit einem Anteil von 6,2 Prozent deutlich hinter den USA (33,5 Prozent), Japan (13,7 Prozent) und China (11,6 Prozent) zurück. „Unter den 150 innovativsten Cybersicherheits-Unternehmen der Welt sind 112 aus den USA, 18 aus Israel und leider nur eines aus Deutschland“, wie Prof. Bertschek feststellt.
„Einer Steigerung der Cybersicherheit – und damit einer Steigerung der Innovationsaktivitäten deutscher Unternehmen – stehen allerdings eine Reihe von Hemmnissen entgegen“, so Professor Christoph Böhringer von der Universität Oldenburg und Mitglied der EFI. Individuelle Akteure investieren zu wenig in Cybersicherheit, weil sie die positiven Auswirkungen ihres Schutzes für andere nicht berücksichtigen. Nutzerinnen und Nutzer von IT-Produkten wie Hard- oder Software haben nur begrenzt Einsicht in das Sicherheitsniveau, das von Anbietern bereitgestellt wird. Unternehmen fällt es oftmals schwer, das Risiko eines Cyberangriffs zu quantifizieren und daraus folgende potenzielle Schäden abzuschätzen. Ein starkes Hemmnis für mehr Cybersicherheit ist zurzeit der Mangel an Cybersicherheitskompetenz: „Aktuell sind Unternehmen sowie der Staat bestrebt, Cybersicherheitsfachleute einzustellen. Allerdings“, mahnt Prof. Bertschek, „bleiben entsprechende Stellen für einen langen Zeitraum unbesetzt, weil genau diese Fachleute fehlen“, was insbesondere kleineren Unternehmen zu schaffen macht.
Ausgehend von ihrer Analyse empfiehlt die Expertenkommission der Bundesregierung ein Bündel von Maßnahmen:
Bedarf an Fachkräften und Kompetenzen decken
Sicherheit digitaler Infrastrukturen gewährleisten
Neue Cyberagentur zügig starten
Informationslage zu Cyberbedrohungen verbessern
Der EFI-Vorsitzende Uwe Cantner verweist darauf, dass sich die Volksrepublik China „zu einer der weltweit führenden Wirtschaftsnationen und einem der wichtigsten Handelspartner Deutschlands entwickelt“ hat. Die chinesische Regierung arbeite konsequent daran, „durch eine ausgeprägte staatliche Steuerung die regionale und globale Machtposition des Landes zu stärken. Dazu verfolgt sie auch das Ziel, in den kommenden Jahren die Technologieführerschaft in entscheidenden Zukunftsbranchen zu erwerben und zum weltweit führenden Innovationsstandort aufzusteigen“, betont der Wirtschaftswissenschaftler von der Universität Jena. Deutschland habe ein großes Interesse an guten Kooperationsbeziehungen mit dem aufstrebenden Innovationsstandort China, so Prof. Cantner weiter. Es gebe aber Sorgen, dass durch einseitigen Abfluss von wissenschaftlichem und innovations- oder sicherheitsrelevantem Know-how und ungleiche Wettbewerbsbedingungen die wissenschaftliche und wirtschaftliche Leistungskraft Deutschlands geschwächt werden könnten.
Chinesische Direktinvestitionen in Deutschland stark gewachsen
In den letzten zehn Jahren hat der Bestand an chinesischen „Foreign Direct Investments“ (FDI = ausländische Direktinvestitionen) in Deutschland stark zugenommen. Der 2017 erreichte Wert von 7,8 Milliarden Euro lag aber immer noch sehr deutlich unter dem FDI-Bestand in Deutschland aus anderen EU-Ländern (320 Milliarden Euro) und den USA (98 Milliarden Euro).
Die Sorge, dass die Übernahme durch chinesische Investoren deutsche Unternehmen in ihrer Leistungskraft schwächt, erscheint laut der Kommission mit Blick auf die Daten aber bislang wenig begründet. So kommt eine von der Kommission in Auftrag gegebene empirische Studie zu dem Schluss, dass sich deutsche Unternehmen, die zu mehr als 50 Prozent oder vollständig von chinesischen Investoren übernommen wurden, im Hinblick auf die Beschäftigtenzahl, den Umsatz und die Patentanmeldungen nach der Übernahme nicht anders entwickelt haben, als von anderen internationalen Investoren übernommene Unternehmen. Eine im Auftrag der EFI durchgeführte Datenauswertung zu FuE-Tätigkeiten zeigt, dass Unternehmen, die von chinesischen Investoren übernommen wurden oder eine chinesische Beteiligung aufweisen, ihre FuE-Ausgaben und ihr FuE-Personal nicht verringern. Dennoch gibt die Expertenkommission zu bedenken, dass Unternehmensbeteiligungen und -übernahmen durch chinesische Investoren grundsätzlich mit der Möglichkeit einer politstrategischen Einflussnahme verbunden sind.
Politische Hürden für Direktinvestitionen deutscher Firmen in China
Der Bestand deutscher FDI in China hat seit Anfang der 2000er Jahre deutlich zugenommen und erreichte 2017 einen Wert von 86 Milliarden Euro. „Damit waren diese FDI zuletzt etwa elfmal so hoch wie chinesische Direktinvestitionen in Deutschland“, erklärt Professorin Katharina Hölzle vom Hasso-Plattner-Institut an der Universität Potsdam und stellvertretende Vorsitzende der Expertenkommission. Mehrheitsbeteiligungen und Übernahmen chinesischer Unternehmen durch deutsche Investoren seien aber nach wie vor die Ausnahme.
„Die Aktivitäten deutscher Unternehmen in China wurden bisher durch Beschränkungen der FDI behindert“, stellt Prof. Cantner fest. Mit dem am 1. Januar 2020 in Kraft getretenen Investitionsgesetz sollen die in China bestehenden regulatorischen Hemmnisse für FDI abgebaut werden. Es bleibt allerdings abzuwarten, wie diese Lockerungen in der Praxis umgesetzt werden. Neben den ungleichen Rahmenbedingungen für FDI sehen deutsche Unternehmen die Durchsetzung von Rechten an intellektuellem Eigentum auf dem chinesischen Markt weiterhin als eine zentrale Herausforderung an.
Herausforderungen für Wissenschaftskooperationen zwischen Deutschland und China
Mit der wachsenden wissenschaftlichen Bedeutung Chinas ist auch die Anzahl der Wissenschaftskooperationen zwischen Deutschland und China deutlich gestiegen. „Auch hier stellt sich eine Reihe von Herausforderungen“, konstatiert Prof. Hölzle. Die Auswahl von geeigneten institutionellen chinesischen Partnern sowie die Anbahnung und Gestaltung von Kooperationsverträgen gestalteten sich häufig schwierig. Dazu würden auch mangelnde Sprach- und Rechtskenntnisse sowie kulturelle Unterschiede beitragen. Derzeit gebe es in Deutschland keine zentrale Anlaufstelle, die systematisch Informationen zu Problemen von deutsch-chinesischen Wissenschaftskooperationen sammelt und auswertet, um Forschende zu informieren und aufzuklären.
Mangelnde China-Kompetenz in Deutschland
Nach Einschätzung der Expertenkommission braucht ein produktiver wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Austausch mit China Köpfe, die mit der chinesischen Sprache und Kultur gut vertraut sind, die aber auch die Märkte, institutionellen Rahmenbedingungen und politischen Strukturen dort gut kennen. „Eine solche umfassende China-Kompetenz ist in Deutschland bisher aber kaum anzutreffen“, kritisiert Professor Holger Bonin vom Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn und Mitglied der Expertenkommission. Dieser Mangel betreffe Wissenschaft und Wirtschaft. Er sei aber von großen Unternehmen häufig leichter zu bewältigen als von kleinen und mittleren Unternehmen und von Hochschulen.
Gleiche Wettbewerbsbedingungen für deutsche und chinesische Unternehmen schaffen
Die Expertenkommission empfiehlt der Bundesregierung, sich nachdrücklich für gleiche Wettbewerbsbedingungen bei Direktinvestitionen für deutsche und chinesische Unternehmen einzusetzen. Darüber hinaus befürwortet sie die Pläne des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi), Unternehmensübernahmen durch ausländische Investoren im Bereich sensibler Technologien umfassender zu prüfen. Dafür sollten die hierbei einbezogenen Technologiebereiche zunächst benannt sowie klare und transparente Prüfkriterien entwickelt werden.
Wissenschaftliche Kooperationen mit China zu beiderseitigem Nutzen gestalten
Die Expertenkommission spricht sich ferner für die Einrichtung einer zentralen Kompetenzstelle zur Beratung deutscher Wissenschaftler aus. Die Kompetenzstelle sollte auch Kapazitäten vorhalten, um den erhöhten Informations- und Beratungsbedarf von KMU bei deutsch-chinesischen Forschungsprojekten zu decken. Forschung und Lehre, die zum Verständnis von aktuellen politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen in China beitragen, sollten gestärkt werden. Hierbei ist auf die Vermittlung von guten Kenntnissen der chinesischen Sprache zu achten. Darüber hinaus sollte es einen intensiven und kontinuierlichen Austausch über die Rahmenbedingungen und Perspektiven der Wissenschaftskooperation zwischen Deutschland und China geben, der mit den europäischen Partnern abgestimmt ist.
Innovationen gelten als wichtige Treiber der gesamtwirtschaftlichen Produktivität und damit der Einkommens- und Wohlstandsentwicklung einer Volkswirtschaft. „Studien zeigen, dass Ostdeutschland den Produktivitätsrückstand gegenüber Westdeutschland seit der Wiedervereinigung deutlich verringern konnte: 1991 betrug die Produktivität in Ostdeutschland rund 45 Prozent des westdeutschen Niveaus, 2018 rund 83 Prozent“, wie der Vorsitzende der Expertenkommission Prof. Uwe Cantner positiv wertet. Gleichzeitig stellt der Jenaer Experte fest, dass sich diese Angleichung aber deutlich verlangsamt habe. Hierfür seien vielfältige strukturelle Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland verantwortlich, die nach wie vor vorhanden seien und die sich auch auf die Innovationstätigkeit von Unternehmen auswirkten.
Um den Unterschieden in der Wirtschaftsstruktur zwischen Ost- und Westdeutschland Rechnung zu tragen und so zu einem aussagekräftigen Vergleich zu kommen, wurden nur solche Unternehmen aus Ost und West miteinander verglichen, die ähnliche Strukturmerkmale aufwiesen. Prof. Cantner stellt fest: „Werden nur strukturähnliche Unternehmen miteinander verglichen, so zeigt sich, dass sich die Innovationstätigkeit ostdeutscher Unternehmen in den vergangenen Jahren der Innovationstätigkeit der westdeutschen Unternehmen weitgehend angeglichen hat.“ Wie der Vergleich zeigt, sind ostdeutsche und westdeutsche Unternehmen bei zentralen Innovationsindikatoren nahezu auf Augenhöhe. „So lassen sich zum Beispiel bei der Innovationsintensität und dem Umsatzanteil mit Produktinnovationen strukturangeglichen kaum mehr Unterschiede zwischen ost- und westdeutschen Unternehmen feststellen,“ sagt Professorin Carolin Häussler von der Universität Passau und Mitglied der Expertenkommission. „Ein klarer Aufholbedarf ostdeutscher Unternehmen besteht hingegen noch bei der Aufnahme von Innovationsaktivitäten und der Einführung von Innovationen in den Markt“, führt sie aus.
Darüber hinaus zeigt die Analyse, dass ostdeutsche Unternehmen im Rahmen ihrer Innovationsprojekte häufiger kooperieren als westdeutsche Unternehmen. Dabei sind ihre Kooperationen allerdings häufiger regional und weniger international ausgerichtet.
Daraus resultieren folgende Empfehlungen der EFI:
Die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) mit Sitz in Berlin leistet seit 2008 wissenschaftliche Politikberatung für die Bundesregierung und legt jährlich ein Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands vor. Wesentliche Aufgabe der EFI ist es dabei, die Stärken und Schwächen des deutschen Innovationssystems im internationalen und zeitlichen Vergleich zu analysieren und die Perspektiven des Forschungs- und Innovationsstandorts Deutschland zu bewerten. Auf dieser Basis entwickelt die EFI Vorschläge für die nationale Forschungs- und Innovationspolitik.