David P. Boder mit Studierenden am Illinois Institute of Technology (IIT) in Chicago

Die Stimmen der Überlebenden

Historikerteam der Universität Jena startet Weblog zu Audio-Interviews mit NS-Verfolgten aus dem Jahr 1946
David P. Boder mit Studierenden am Illinois Institute of Technology (IIT) in Chicago
Foto: IIT Chicago, Paul V. Galvin Library
  • Wissenstransfer & Innovation

Meldung vom: | Verfasser/in: Stephan Laudien

Am heutigen Donnerstag (29. April) geht der Weblog „Fragen an Displaced Persons: 1946 und heute“ online. Gefördert von der Bundeszentrale für politische Bildung, haben ihn die Berliner Historikerin Lisa Schank und der Historiker Dr. Axel Doßmann von der Friedrich-Schiller-Universität Jena erstellt. Unter https://www.dp-boder-1946.uni-jena.de/Externer Link etablieren die beiden ein fachübergreifendes Forum, das außergewöhnlich früh entstandene Interviewzeugnisse zur NS-Verfolgung befragt und reflektiert. Zudem sollen auf dem Blog neueste Erkenntnisse zum Nachleben einzelner Displaced Persons geteilt werden.

Quellenbasis für den Blog sind die einzigartigen Interviews, die der US-amerikanische Sozialpsychologe David P. Boder im Sommer 1946 geführt hat. Angesichts der schockierenden Bilder aus den befreiten Konzentrationslagern vermisste Boder die Stimmen der Überlebenden. So schnell wie möglich wollte er die entwurzelten Menschen zu ihren persönlichen Erlebnissen im Krieg befragen und ihre vielsprachigen Erzählungen für die Nachwelt bewahren. Im Sommer 1946 reiste David P. Boder deshalb nach Europa und führte über 100 Interviews mit Displaced Persons. Die Stimmen der Überlebenden speicherte er auf Drahtton-Spulen, daraus entstand die weltweit erste Sammlung von Audio-Interviews von Überlebenden der Shoah.

Die Sammlung gerät nach 1961 in Vergessenheit

Doch nach dem Tod Boders 1961 geriet die Sammlung in Vergessenheit, die Stimmen der Überlebenden blieben lange Zeit ungehört. „Erst 2009 werden erste Studien zur Sammlung veröffentlicht und mit dem Chicagoer Archiv Voices of the Holocaust die meisten Interviews online gestellt“, betont Dr. Axel Doßmann von der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

Mit dem neuen Weblog soll Neugier geweckt, fundiertes Wissen angeboten werden: Was waren Boders Fragen an die Überlebenden? Wie sprachen diese – jüdischen und nicht-jüdischen –  Menschen, die als Displaced Persons bezeichnet wurden, ein Jahr nach Kriegsende über ihre Familien, über Gewalt, Zwangsarbeit, Deportation, über Leben und Tod in Ghettos und KZs? Was erwarteten sie von der Zukunft? Zugleich soll gefragt werden, wie heutige Menschen diese lebensgeschichtlichen Deutungen einordnen. Der Blog, der partizipativ angelegt ist, möchte Methoden- und Fragekompetenz fördern und verschiedene Forschungsansätze bekanntmachen. Zugleich verstehen Schank und Doßmann den Blog als einen Ort für gemeinsames Nachdenken über die pädagogischen Herausforderungen von medial überlieferter Zeugenschaft. Alle Interessierten sind eingeladen, Beiträge zu schreiben.

Zahlreiche Kooperationspartner tragen zum Gelingen des Blogs bei

„Mit den Stimmen der Displaced Persons aus dem Sommer 1946 – aufgenommen vor 75 Jahren – ist eine einzigartige Interview-Sammlung erhalten geblieben. Bislang ist sie recht unbekannt, dabei steckt in Boders Archiv großes Potential für die historisch-politische Bildung. Der neue Blog aus der Universität Jena präsentiert fachübergreifende Forschung über diese Interviews, lädt zum Mitmachen ein und unterstützt verstehendes Hören“, sagt Thomas Krüger, der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung. Die Bundeszentrale hat die Jenaer Initiative zu Boders Sammlung bereits 2016 unterstützt. 2020/21 wurde die redaktionelle Arbeit für den Blog durch eine Modellförderung der Bundeszentrale unterstützt, realisiert in Kooperation mit der Professorin für Geschichtsdidaktik der Universität Jena, Prof. Dr. Anke John.

Als weitere Projektpartner sind zu nennen die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora sowie der Lehrstuhl für Geschichte in Medien und Öffentlichkeit der Universität Jena, die die IT-Entwicklung und die Gestaltung des Blogs übernommen haben. In Bezug auf die Interview-Sammlung „Voices of the Holocaust“ ist zudem die Paul V. Galvin Library des Illinois Institute of Technology, Chicago, ein Kooperationspartner. Er erlaubt die Nutzung des Bestandes für Forschungs- und Bildungszwecke; Forschungsergebnisse werden gegenseitig zur Verfügung gestellt.

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