Hörsaal 1 im Campusgebäude der Uni Jena ist besetzt.

Hintergrundinformation

Zur aktuellen Debatte um die Professur für Geschlechtergeschichte
Hörsaal 1 im Campusgebäude der Uni Jena ist besetzt.
Foto: Janine Kalisch/Universität Jena

Warum war der Hörsaal 1 am Abbe-Campus (Carl-Zeiß-Straße 3) besetzt?

Der Hörsaal 1 im Campusgebäude war von Mittwoch, 30. November 2022, bis Donnerstag, 15. Dezember 2022, von einer Gruppe Studierender besetzt, die mit ihrer Aktion von der Philosophischen Fakultät forderten, die Professur für Geschlechtergeschichte wieder mit diesem Schwerpunkt auszuschreiben, wenn die derzeitige Professorin für Geschlechtergeschichte 2025 in den Ruhestand geht. Die Forderung wurde von weiteren Positionen flankiert, die sich teilweise jedoch nicht an die Universität richteten („Gegen den Rechtsruck“, „Gegen die prekäre ökonomische Situation der Studierenden“).

Hintergrundgespräch mit dem Dekan der Philosophischen Fakultät, Prof. Dr. Christoph Demmerling

Zur Debatte um die Professur für Geschlechtergeschichte

Prof. Dr. Christoph Demmerling, Dekan der Philosophischen Fakultät
Foto: Anne Günther (Universität Jena)

Fragen und Antworten zur Hörsaalbesetzung und Debatte um die Professur für Geschlechtergeschichte

  • Warum dauerte die Hörsaalbesetzung so lange an?

    Die Hörsaalbesetzung wurde von der Hochschulleitung geduldet. Der Präsident, der Kanzler, der Dekan der Philosophischen Fakultät und die Leiterin der Hochschulkommunikation haben noch in der ersten Stunde der Besetzung im Hörsaal das Gespräch gesucht. Nach zwei Tagen fand ein Gespräch zwischen einer Delegation der Studierenden, der Hochschulleitung und dem Dekan statt, das von beiden Seiten als konstruktiv betrachtet wurde. Es wurden weitere Gespräche zugesagt unter der Bedingung, dass der Hörsaal freigegeben wird. Über die Benennung oder Wiederbesetzung von Professuren entscheiden jedoch die Fakultäten. Die Studierenden haben den Hörsaal daher erst freiwillig aufgegeben, nachdem der Fakultätsrat der Philosophischen Fakultät den Beschluss gefasst hat, Möglichkeiten für die Wiederbesetzung der Professur für Geschlechtergeschichte erneut zu prüfen.

  • Ist mit weiteren Hörsaalbesetzungen zu rechnen?

    Das Präsidium der Universität stellt klar, dass Hörsaalbesetzungen nicht als Mittel des Diskurses an der Universität akzeptiert werden. Bei weiteren Besetzungen werde sich das Präsidium am Beispiel anderer Universitäten orientieren, die die Besetzung der Hörsäle als Hausfriedensbruch behandelten und nach Strafanzeige gegen die Besetzenden polizeilich räumen ließen.

  • Stimmt es, dass die Protestierenden keine andere Wahl hatten, sich Gehör zu verschaffen?

    Das Ziel, sich Gehör zu verschaffen, kann auf demokratischem Wege erreicht werden: studentische Mitbestimmung ist über die Gremien (Fakultätsrat, Senat, Universitätsrat, Studierendenrat) nicht nur möglich, sondern erwünscht. Die Art und Weise der Mitbestimmung (Wahlen, Sitze) ist im Thüringer Hochschulgesetz geregelt. Ein starkes Signal setzen beispielsweise auch große Versammlungen und Vollversammlungen. 

    Zudem besteht die Möglichkeit, Petitionen und Anfragen einzureichen. Im konkreten Fall wurde der Hörsaal besetzt, bevor die zuvor genannten Wege ausgeschöpft wurden. Die Beantwortung eines Schreibens des Studierendenrates an das Präsidium wurde nicht abgewartet. Eine erste Petition mit Unterschriftenliste wurde dem Fakultätsrat am 15. November überreicht. Daraufhin wurde eine Aussprache über das Thema für die Fakultätsratssitzung am 13. Dezember vorgesehen. Eine umfassendere Petition zur Wiederbesetzung der Professur für Geschlechtergeschichte wurde dem Fakultätsrat in der Sitzung am 13. Dezember 2022 übergeben, nachdem der Hörsaal bereits 14 Tage besetzt war.

  • Wie kommt es, dass an der Philosophischen Fakultät eine Professur nicht wiederbesetzt werden kann?

    Die Philosophische Fakultät hat 2016 beschlossen, gemeinsam mit der Fakultät für Mathematik und Informatik das Programm zur Förderung des Wissenschaftlichen Nachwuchses des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) zu nutzen, um zusammen die Etablierung der Digital Humanities voranzutreiben. An jeder Fakultät wurde jeweils eine Juniorprofessur angesiedelt. Der Bund zahlt dabei sechs Jahre Juniorprofessur und nach positiver Evaluation zwei weitere Jahre eine Voll-Professur. Danach muss die jeweilige Fakultät eine ihrer unbefristeten Lebenszeitprofessuren des Landes zur Verfügung stellen. Die Philosophische Fakultät war sich einig, dass erst „nach erfolgter Kandidatenauswahl die notwendigen Gespräche über die institutionelle Anbindung“ der Professur stattfinden sollen. Der Fakultätsrat der Philosophischen Fakultät hat auf dieser Basis in seiner Sitzung am 29. November 2016 beschlossen, den „Antrag auf Förderung aus dem BMBF-Programm für den Wissenschaftlichen Nachwuchs“ zu befürworten. Mit diesem Beschluss, die Professur für Digital Humanities an der Fakultät zu verstetigen, geht die Nicht-Wiederbesetzung einer anderen Professur einher.

  • Wie kam es, dass der Fakultätsrat zwischen den Professuren für Geschlechtergeschichte und Latein entschieden hat?

    Die Verstetigung der zusätzlich angenommenen Professur für Digital Humanities ist naheliegend durch die Nicht-Wiederbesetzung einer Professur möglich, deren Inhaberin oder Inhaber in den nächsten Jahren in den Ruhestand geht. Mehrere Professuren kamen zeitlich in Frage. Eine vom Fakultätsrat der Philosophischen Fakultät selbst eingesetzte Strukturkommission hat als beratendes Gremium über mehrere Monate getagt und Gespräche mit Instituten geführt. Sie kam zu dem Schluss, dass zwei Professuren der Anglistik und eine Professur für Interkulturelle Kommunikation aufgrund der hohen Studierendenzahlen und Auslastung ausgeschlossen sind. Auch die Professur für Slawische Literaturwissenschaft wurde ausgenommen, da das Fach Slawistik ohne diese nicht mehr studierbar wäre. Es blieben eine Professur für Latinistik und die Professur für Geschlechtergeschichte, die von der Strukturkommission „schweren Herzens“ zur Diskussion gestellt wurden.

  • Wie lief das Verfahren der Philosophischen Fakultät ab?

    Die Diskussion und Abstimmung erfolgte in dem dafür zuständigen Gremium, dem Fakultätsrat der Philosophischen Fakultät am 12. Juli 2022, in einer hochschulöffentlichen Sitzung per Videokonferenz. Das Historische Institut und das Institut für Altertumswissenschaften wurden frühzeitig informiert, hatten Stellungnahmen für die Strukturkommission bzw. den Fakultätsrat verfasst und auf Rückfragen der Strukturkommission geantwortet, sodass die anstehende Entscheidung in den Instituten seit längerem bekannt war. Der Tagesordnungspunkt wurde auf Wunsch eines der betroffenen Institute kurzfristig noch aus dem geschlossenen Teil der Sitzung in den hochschulöffentlichen Teil verlegt, nachdem die juristische Frage geklärt war, dass es sich um keine Personalentscheidung handelt, die per Gesetz nicht-öffentlich zu sein hat. Durch das Format der Videokonferenz war die Teilnahme zusätzlich erleichtert. An der Diskussion im Fakultätsrat haben sich 72 Personen beteiligt, bei 20 stimmberechtigten Anwesenden. Es gab zahlreiche Stellungnahmen von Studierenden, Promovierenden, Mittelbauvertretungen, Professorinnen und Professoren und stimmberechtigten Fakultätsratsmitgliedern, die sich engagiert für den Erhalt beider Professuren einsetzten.

    Das Verfahren wurde im Anschluss ausführlich durch das Rechtsamt der Universität geprüft und als formal ordnungsgemäß bewertet.

  • Wie waren Studierende am Verfahren beteiligt?

    Den Studierenden stehen vier Plätze im Fakultätsrat zu. Zwei der Plätze waren zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht besetzt, da sich nicht genügend Studierende für den Fakultätsrat zur Wahl gestellt hatten. 

    In der Strukturkommission gab es ein studentisches Mitglied. Dieses wurde mehrfach eingeladen und über den Sachstand der Diskussion informiert, hat die Teilnahmemöglichkeit an den Sitzungen jedoch nicht wahrgenommen oder nicht wahrnehmen können.

  • Wieso wird die sogenannte „solidarische Lösung“ nicht umgesetzt?

    Innerhalb der Fakultät wurden zwei Modelle diskutiert. Zum einen ging es um die Frage, ob nicht auch Professuren für eine Nichtnachbesetzung in Frage kämen, deren Inhaberinnen oder Inhaber erst zu einem späteren Zeitpunkt pensioniert werden. Das hätte eine Überbrückungsfinanzierung erforderlich gemacht. Dazu wurde überlegt, für einen Zeitraum von wenigen Jahren für alle Professuren, die in dieser Zeit nachzubesetzen sind, eine befristete Stellensperre einzusetzen und daraus die Überbrückung bis zum Ruhestand des Stelleninhabers oder der Stelleninhaberin zu finanzieren. Davon wären jedoch sowohl stark nachgefragte Lehramtsfächer wie Anglistik betroffen als auch Kleine Fächer, die dadurch nicht studierbar wären. In der Diskussion war allerdings auch der Vorschlag, die Gesamtfinanzierung der Professur auf alle Institute umzulegen. Dazu hätte man das Instrument einer fakultätsinternen Stellensperre über einen Zeitraum von ca. 20 Jahren anwenden müssen. Diese Lösung stellte sich schnell als undurchführbar heraus und hätte die Fakultät vor nicht lösbare technische und praktische Probleme gestellt.

  • Wie steht die Universität zu Geschlechtergeschichte?

    Geschlechtergeschichte ist aus Lehre und Forschung nicht wegzudenken. Geschlecht kennzeichnet als analytische Kategorie ein wesentliches Prinzip gesellschaftlicher Organisation. Gerade mit Blick in die Geschichte ist erkennbar, dass ein stetiger Aushandlungsprozess zwischen und innerhalb der Geschlechter besteht. Geschlechtergeschichte legt den Blick auf den historischen Wandel und auf kulturelle Ausprägungen von Geschlechterverhältnissen.

    Forschung und Lehre zu Aspekten der Geschlechtergeschichte muss aufgrund ihrer Bedeutung von zahlreichen Historiker*innen betrieben werden und kann nicht nur an Professuren mit der speziellen Bezeichnung Geschlechtergeschichte gebunden werden. Hierzu bestehen unterschiedliche Einschätzungen an der Universität: während die einen der Auffassung sind, dass Geschlechtergeschichte auch ohne die Wiederbesetzung der Professur mit diesem Namen in Lehre und Forschung an der Universität Jena einen sehr breiten Raum einnimmt, sind andere der Meinung, dass es weiterhin eine spezialisierte Professur benötigt, die Geschlechtergeschichte im Namen trägt.

  • Ist die Professur für Geschlechtergeschichte in Jena einzigartig?

    Die Professur für Geschlechtergeschichte in Jena ist in Deutschland die einzige, die Geschlechtergeschichte explizit im Namen trägt. Geschlechtergeschichte hat jedoch in der Geschichtswissenschaft einen allgemein hohen Stellenwert und wird von zahlreichen Historiker*innen durch alle Epochen (z. B. in der Alten, Mittleren und Neueren Geschichte) hindurch betrieben.

  • Wieso wird nicht einfach eine zusätzliche Professur geschaffen?

    Die Zahl der Professuren an der Universität Jena ist vom Land vorgegeben. Eine zusätzliche Professur müsste vom Land geschaffen und finanziert werden oder die Mittel dafür gestiftet oder gespendet werden.

  • Wie kann eine Fakultät eine Stiftungsprofessur einrichten?

    Der Fakultät müssten für eine ausfinanzierte Professur Mittel in Höhe von ca. 5 bis 6 Millionen Euro über den Verwendungszeitraum von ca. 20 Jahren zur Verfügung gestellt werden. 

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 hochschulkommunikation@uni-jena.de.