Gute wissenschaftliche Praxis
Präambel
Zur Sicherung einer guten wissenschaftlichen Praxis hat die Friedrich-Schiller-Universität Jena die nachfolgenden Grundsätze und Verfahrensregeln beschlossen. Sie wird jedem Verdacht auf ein wissenschaftliches Fehlverhalten innerhalb der Universität nachgehen, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen. Sofern sich nach Aufklärung des Sachverhalts ein diesbezüglicher Verdacht bestätigt, werden im Rahmen der zu Gebote stehenden Möglichkeiten dem Einzelfall jeweils angemessene Maßnahmen ergriffen. Die Friedrich-Schiller-Universität verfolgt damit auch das Anliegen, das Bewusstsein für die Grundregeln wissenschaftlicher Praxis bei den etablierten Wissenschaftlern lebendig zu halten und zu schärfen, sowie sie den Studierenden und dem wissenschaftlichen Nachwuchs als selbstverständliche Bedingungen wissenschaftlicher Arbeit frühzeitig und stets aufs Neue zu vermitteln. Mit den Richtlinien soll auch deutlich gemacht werden, dass die Universität wissenschaftliches Fehlverhalten nicht akzeptieren kann, weil damit das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Wissenschaft untergraben und das der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untereinander zerstört wird.
§ 1 Gute wissenschaftliche Praxis
(1) Wissenschaftliche Arbeit beruht auf Grundprinzipien, die in allen wissenschaftlichen Disziplinen gleichermaßen gelten. Oberstes Prinzip ist die Wahrhaftigkeit gegenüber sich selbst und anderen. Sie ist zugleich ethische Norm und Grundlage der von Disziplin zu Disziplin verschiedenen Regeln wissenschaftlicher Praxis.
(2) Als Beispiele guter wissenschaftlicher Praxis kommen insbesondere in Betracht:
- allgemeine Prinzipien wissenschaftlicher Arbeit, insbesondere
-
- lege artis zu arbeiten,
- Resultate zu dokumentieren,
- die eigenen Ergebnisse konsequent selbst anzuzweifeln,
- strikte Ehrlichkeit im Hinblick auf die Beiträge von Partnern, Konkurrenten und Vorgängern zu wahren,
- Zusammenarbeit und Leitungsverantwortung in Arbeitsgruppen,
- die Betreuung des wissenschaftlichen Nachwuchses,
- die Sicherung und Aufbewahrung von Primärdaten,
- wissenschaftliche Veröffentlichung als Medium der Rechenschaft von Wissenschaftlern über ihre Arbeit
- die Achtung fremden geistigen Eigentums
- die Einhaltung ethischer Standards bei der Durchführung von Erhebungen
(3) Gute wissenschaftliche Praxis wird durch das Zusammenwirken von Mitgliedern der Universität gefördert. Die Einhaltung und Vermittlung der dafür maßgebenden Regeln obliegt in erster Linie den einzelnen Wissenschaftlern, auch soweit sie als Projektleiter, Leiter von Arbeitsgruppen, Betreuer oder sonst als Vorgesetzte tätig sind. Die Fakultäten und anderen wissenschaftlichen Einrichtungen nehmen die ihnen übertragenen Aufgaben in der Ausbildung, in der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und in der Organisation des Forschungs- und Wissenschaftsbetriebes wahr. Sie sind daher durch ihre Einzel- und Kollegialorgane dafür verantwortlich, die organisatorisch-institutionellen Voraussetzungen für die Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis zu schaffen.
§ 2 Wissenschaftliches Fehlverhalten
(1) Wissenschaftliches Fehlverhalten liegt demgegenüber vor, wenn in einem wissenschafts-erheblichen Zusammenhang bewusst oder grob fahrlässig ethische Normen verletzt werden, Falschangaben gemacht werden, geistiges Eigentum anderer verletzt oder sonst deren Forschungstätigkeit beeinträchtigt wird. Entscheidend sind jeweils die Umstände des Einzelfalles.
(2) Ein Fehlverhalten von Wissenschaftlern kommt insbesondere in Betracht bei:
1. Falschangaben durch
- Erfinden von Daten
- Verfälschung von Daten und Quellen, wie z.B. durch
-
- Unterdrücken von relevanten Quellen, Belegen oder Texten,
- Manipulation von Quellen, Darstellungen oder Abbildungen,
- Auswählen und Zurückweisen unerwünschter Ergebnisse ohne Offenlegung
- unrichtige Angaben in einem Bewerbungsschreiben oder einem Förderantrag (einschließlich Falschangaben zum Publikationsorgan und zu in Druck befindlichen Veröffentlichungen)
- unrichtige Angaben zur wissenschaftlichen Leistung von Bewerbern in Auswahl-oder Gutachterkommissionen
2. Verletzung geistigen Eigentums
in bezug auf ein von einem anderen geschaffenes urheberrechtlich geschütztes Werk oder von anderen stammende wesentliche wissenschaftliche Erkenntnisse, Hypothesen, Lehren oder Forschungsansätze
insbesondere durch
- unbefugte Verwertung unter Anmaßung der Autorschaft (Plagiat),
- Ausbeutung von unpublizierten Forschungsansätzen und Ideen, insbesondere als Gutachter (Ideendiebstahl),
- Anmaßung wissenschaftlicher Autor- oder Mitautorschaft ohne eigenen wissenschaftlichen Beitrag,
- Verfälschung des Inhalts,
- unbefugte Veröffentlichung oder unbefugtes Zugänglichmachen gegenüber Dritten, solange das Werk, die Erkenntnis, die Hypothese, der Lehrinhalt oder der Forschungsansatz noch nicht veröffentlicht ist,
- Inanspruchnahme der (Mit-)Autorschaft einer anderen Person ohne deren Einverständnis
3. Beeinträchtigungen der Forschungstätigkeit anderer durch
- Sabotage von Forschungstätigkeit anderer wie z.B. durch
-
- Beschädigen, Zerstören, oder Manipulieren von Versuchsanordnungen, Geräten, Unterlagen, Hardware, Software, Chemikalien oder sonstiger Sachen, die ein anderer zur Durchführung eines Experiments benötigt,
- arglistiges Verstellen oder Entwenden von Büchern, Archivalien, Handschriften, Datensätzen,
- vorsätzliche Unbrauchbarmachung von wissenschaftlich relevanten Informationsträgern
- Beseitigung von Primärdaten, soweit damit gegen gesetzliche Bestimmungen oder fachspezifisch anerkannte Grundsätze wissenschaftlicher Arbeit verstoßen wird.
- Unerlaubtes Vernichten oder unerlaubte Weitergabe von Forschungsmaterial.
(3) Eine Mitverantwortung für Fehlverhalten kann sich unter anderem ergeben aus aktiver Beteiligung am Fehlverhalten anderer, dem Mitwissen um Fälschungen durch andere, der Mitautorschaft an fälschungsbehafteten Veröffentlichungen sowie grober Vernachlässigung der Aufsichtspflicht.
§ 3 Vermeidung wissenschaftlichen Fehlverhaltens
Zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis und zur Vermeidung wissenschaftlichen Fehlverhaltens in der Forschung sind an der Friedrich-Schiller-Universität Jena die folgenden Regeln zu beachten:
- Die Grundsätze wissenschaftlichen Arbeitens und guter wissenschaftlicher Praxis sollen den Studierenden bereits zu Beginn ihres Studiums vermittelt werden. Dabei sollen die Studierenden zu Ehrlichkeit und Verantwortlichkeit in der Wissenschaft erzogen werden. Die Möglichkeit wissenschaftlichen Fehlverhaltens ist angemessen zu thematisieren, um Studierende und Nachwuchswissenschaftler entsprechend zu sensibilisieren.
- Bei der Durchführung von Forschungsaufgaben sollen nach Möglichkeit wissenschaftliche Arbeitsgruppen gebildet werden. Das Zusammenwirken in solchen Arbeitsgruppen soll so ausgestaltet sein, dass die in spezialisierter Arbeitsteilung erzielten Ergebnisse gegenseitig mitgeteilt, einem kritischen Diskurs unterworfen und in einen gemeinsamen Kenntnisstand integriert werden können.
- Die Fakultäten und anderen wissenschaftlichen Einrichtungen stellen die Betreuung des wissenschaftlichen Nachwuchses sicher. Sie sollen dazu entsprechende Regelungen treffen.
- Bei Leistungs- und Bewertungskriterien für Prüfungen, für die Verleihung akademischer Grade, Beförderungen, Einstellungen, Berufungen und Mittelzuweisungen gilt, dass Qualität und Originalität als Bewertungsmaßstab stets Vorrang vor Quantität haben.
- Primärdaten als Grundlagen für Veröffentlichungen sollen auf haltbaren und gesicherten Trägern in der Institution, in der sie entstanden sind, für zehn Jahre aufbewahrt werden.
- Es ist strikte Ehrlichkeit im Hinblick auf die Beiträge von Partnern, Konkurrenten und Vorgängern zu wahren. Nur wer wesentlich zur Erarbeitung eines Forschungsergebnisses beigetragen hat, darf als Mit-Autor bezeichnet werden.
§ 4 Vertrauenspersonen
(1) Der Rektor ernennt nach Wahl durch den Senat für die Dauer von drei Jahren vier Personen aus der Gruppe der Professoren als Vertrauenspersonen und Ansprechpartner für Universitätsmitglieder oder -angehörige, die Vorwürfe und Hinweise auf wissenschaftliches Fehlverhalten vorzubringen haben. Eine Wiederwahl ist möglich. Die Vertrauenspersonen werden auf den Internetseiten der Universität bekannt gemacht.
(2) Für die Bereiche der Geistes- und Kulturwissenschaften, der Rechts- und der Wirtschafts-wissenschaften, der Naturwissenschaften sowie der Medizin wird je eine Vertrauensperson gewählt. Sie soll über ausgeprägte Erfahrungen in der Durchführung von Forschungsprojekten und in der Heranbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses sowie über nationale und internationale Kontakte verfügen.
(3) Die Vertrauenspersonen sind für alle Universitätsmitglieder und -angehörigen zuständig und vertreten sich gegenseitig. Sie beraten diejenigen, die sie über ein mutmaßliches wissenschaftliches Fehlverhalten informieren. Jedes Mitglied der Universität hat Anspruch darauf, eine der Vertrauenspersonen innerhalb kurzer Frist persönlich zu sprechen. Die Vertrauenspersonen prüfen die Hinweise summarisch auf ihren Wahrheitsgehalt und ihre Bedeutung, auf mögliche Motive und im Hinblick auf Möglichkeiten zur Ausräumung der Vorwürfe.
§ 5 Kommission
(1) Für die Untersuchung von Vorwürfen wissenschaftlichen Fehlverhaltens wird eine KommissionExterner Link eingerichtet und auf den Internetseiten der Universität bekannt gemacht. Sie besteht aus einem Vorsitzenden, den der Senat auf Vorschlag des Rektors wählt, aus dem Prorektor für Forschung qua Amt und einem Mitglied der Rechtswissenschaftlichen Fakultät als juristischen Sachverständigen. Die Kommission kann je einen Vertreter der im Einzelfall beteiligten Statusgruppen mit beratender Stimme hinzuziehen. Im Übrigen kann sie im Einzelfall bis zu drei weitere Personen als Sachkundige mit beratender Stimme beteiligen.
(2) Die Kommission tritt auf Antrag eines ihrer Mitglieder zur Beratung zusammen.
(3) Die Kommission tagt nichtöffentlich. Beschlüsse werden mit einfacher Mehrheit gefasst, bei Stimmgleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden.
§ 6 Verfahren bei wissenschaftlichem Fehlverhalten
(1) Erhält eine Vertrauensperson konkrete Hinweise auf wissenschaftliches Fehlverhalten, so unterrichtet sie den Vorsitzenden der Kommission schriftlich unter strikter Wahrung der Vertraulichkeit zum Schutz des Informanten und des Betroffenen, dem Fehlverhalten vorgeworfen wird, über die erhobenen Anschuldigungen.
(2) Die Kommission ist berechtigt, die zur Aufklärung des Sachverhalts erforderlichen Informationen und Stellungnahmen einzuholen und im Einzelfall auch Fachgutachter aus dem betroffenen Wissenschaftsbereich sowie andere Experten hinzuzuziehen. Die Kommission prüft in freier Beweiswürdigung, ob ein wissenschaftliches Fehlverhalten vorliegt.
(3) Eine Vertrauensperson kann Verdachtsmomente auch im Auftrag des Informanten vortragen, ohne dass dessen Identität preisgegeben werden muss. Dem Betroffenen sind die belastenden Tatsachen und gegebenenfalls Beweismittel unverzüglich zur Kenntnis zu geben. Ihm sowie dem Informanten ist in geeigneter Weise Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Sie sind auf ihren Wunsch auch mündlich anzuhören. Der Betroffene wie auch der Informant kann eine Person seines Vertrauens als Beistand hinzuziehen.
(4) Ist die Identität des Informanten dem Betroffenen nicht bekannt, so ist diese offen zu legen, wenn der Betroffene sich andernfalls nicht sachgerecht verteidigen kann, insbesondere weil der Glaubwürdigkeit des Informanten für die Feststellung des Fehlverhaltens wesentliche Bedeutung zukommt. Dies hat die Kommission durch Beschluss festzustellen. Die Bekanntgabe der Identität kann ausnahmsweise entfallen, wenn die Sach- und Beweislage offenkundig ist.
(5) Die Kommission legt dem Rektor über das Ergebnis ihrer Untersuchung einen Abschluss-bericht mit einer Empfehlung zum weiteren Verfahren vor. Zugleich unterrichtet sie die beschuldigten Personen und die Informanten über das wesentliche Ergebnis ihrer Ermittlungen.
(6) Der Rektor entscheidet auf der Grundlage des Abschlußberichtes und der Empfehlung der Kommission, ob das Verfahren einzustellen ist oder ob ein wissenschaftliches Fehlverhalten hinreichend erwiesen ist. Im letzteren Fall entscheidet er auch über die zu treffenden Maßnahmen. Ist der Verdacht eines wissenschaftlichen Fehlverhaltens zu Unrecht erhoben worden, sorgt der Rektor für eine Rehabilitation der beschuldigten Personen.
Jena, 20. Dezember 2006
Prof. Dr. Klaus Dicke
Rektor der FSU Jena