Prof. Dr. Tobias Rothmund (l.) und Arne Stolp (r.) entwickeln ein Tool zur Selbstreflexion, mit dem jede und jeder Interessierte die eigene politische Voreingenommenheit ermitteln kann.

Einfach nur gut erklären, reicht nicht mehr

Forschende der Universität Jena ermitteln Wege, wie Wissenschaftskommunikation politischer Voreingenommenheit begegnen kann
Prof. Dr. Tobias Rothmund (l.) und Arne Stolp (r.) entwickeln ein Tool zur Selbstreflexion, mit dem jede und jeder Interessierte die eigene politische Voreingenommenheit ermitteln kann.
Foto: Anne Günther (Universität Jena)
  • Forschung

Meldung vom: | Verfasser/in: Sebastian Hollstein

Für viele Menschen ist Wissenschaft zur Glaubensfrage geworden – die Akzeptanz von Forschungsergebnissen hängt immer häufiger davon ab, ob sie zum eigenen Weltbild passen. Das stellt die Wissenschaftskommunikation vor neue Herausforderungen. Allein Inhalte ansprechend und zugänglich für die Öffentlichkeit aufbereiten, um Wissenslücken zu schließen und neue Innovationen vorzustellen, genügt nicht mehr. Doch wie lässt sich politische Voreingenommenheit überwinden? Das ergründen Kommunikationswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler der Friedrich-Schiller-Universität Jena seit diesem Monat im vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Forschungsprojekt „SensipoV – Sensibilisierung für politische Voreingenommenheit im Umgang mit wissenschaftlicher Evidenz als Herausforderung für die Wissenschaftskommunikation".

Wir haben alle die Tendenz, bestimmten wissenschaftlichen Ergebnissen, die unser Weltbild unterstützen, eher zu glauben als anderen – das ist lange bekannt“, beschreibt Prof. Dr. Tobias Rothmund von der Universität Jena, der das Projekt gemeinsam mit Prof. Dr. Christian Thiel leitet, die Problemstellung. „Themen wie etwa der Klimawandel oder die Covid-Pandemie werden und wurden politisch kontrovers diskutiert – der Umgang mit wissenschaftlicher Evidenz in diesen und anderen Bereichen ist häufig abhängig von der politischen Überzeugung. Passen wissenschaftliche Erkenntnisse und politische Einstellung nicht zusammen, werden Studien weniger vertrauenswürdig bewertet, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Kompetenz abgesprochen oder Forschungsmethoden angezweifelt. Um solche Widerstände zu überwinden, reicht es nicht mehr aus, Forschungsergebnisse einfach nur gut zu erklären.“

Voreingenommenheit sichtbar machen

Um diese politische Voreingenommenheit zu überwinden, setzen die Jenaer Forschenden vor allem auf eines: sie sichtbar machen, um überhaupt ein Problembewusstsein zu schaffen. Sie wollen ein Instrument – eine Art Test – entwickeln, mit dem jede und jeder Interessierte seine politische Voreingenommenheit selbst ermitteln kann. „Die Nutzerinnen und Nutzer sollen hier Faktenlagen mit gesicherter Datenbasis zu Themen, die politisch besonders polarisieren, einschätzen. In den Schätzungen wird sich auch die jeweilige politische Voreingenommenheit ausdrücken“, erklärt der Jenaer Kommunikationspsychologe. „Nach der Beantwortung mehrerer solcher Fragen kann man ein Muster erkennen, durch das die Voreingenommenheit sichtbar und quantifizierbar wird.“ Dank eines zuvor durch die Befragung einer repräsentativen Gruppe ermittelten Referenzwerts können Nutzerinnen und Nutzer ihre Voreingenommenheit einordnen. 

Um dem möglichen Vorwurf, dass Themenbereiche für die Schätzungen möglicherweise zu selektiv oder gar tendenziös ausgewählt seien, bereits im Vorfeld konstruktiv zu begegnen, beziehen die Forschenden die Befragten direkt mit ein. Sie können selbst Statistiken und Fragen für das Tool vorschlagen. Dafür haben sich die Jenaer Kommunikationswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler den Citizen-Science-Experten Prof. Dr. Christian Thiel mit ins Boot geholt, der auch für die technische Gestaltung und Umsetzung des Selbsttests verantwortlich ist. 

Selbstreflexion anregen

In einem weiteren Schritt will das Team um Tobias Rothmund dann überprüfen, ob die Methode wirkt. Im Idealfall stoße man einen Prozess der Selbstreflexion an, der tatsächlich zur Sensibilisierung beiträgt, sagt der Jenaer Kommunikationspsychologe. „In jedem Fall erhalten wir wichtige Erkenntnisse darüber, wie wir dem Phänomen der politischen Voreingenommenheit besser begegnen können. Für die zukünftigen Herausforderungen brauchen wir eine aufgeklärte Gesellschaft – und dafür ist es wichtig, auch die Wissenschaftskommunikation zum Forschungsgegenstand zu machen.“ 

Um solche Reflexionsprozesse schon früh anzuregen und die politische Bildung zu unterstützen, wollen die Forschenden den Test auch für Jugendliche und die Anwendung in Schulen anpassen. Das Projekt ist deshalb an das Zentrum für Rechtsextremismusforschung, Demokratiebildung und gesellschaftliche Integration der Universität Jena angebunden. 

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Tobias Rothmund, Univ.-Prof. Dr.
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