
Welche psychosozialen Probleme treten bei Studierenden am häufigsten auf und wie wirken sich diese auf die akademische Leistung aus?
Die häufigsten Probleme beobachten wir im persönlichen Bereich. Schwierigkeiten mit der Identität und dem Selbstwert sind seit jeher die am meisten genannten Problemfelder, gefolgt von Ängsten und depressiven Verstimmungen sowie Problemen mit der Stressbewältigung und der daraus resultierenden, anhaltenden Erschöpfung. Diese Problemfelder zeigen sich dann auch in Bezug auf das Studium; so werden am häufigsten Schwierigkeiten bei der Arbeitsorganisation bzw. dem Zeitmanagement beobachtet. Daraus resultieren dann meist Studienabschlussprobleme. Auch Lern- und Arbeitsstörungen bzw. Leistungsprobleme werden häufig von den Studierenden thematisiert.
Welche spezifischen Herausforderungen bringen die verschiedenen Phasen des Studiums oder der akademischen Karriere mit sich und wie können diese effektiv adressiert werden, bevor psychosoziale Probleme auftreten?
Wenn junge Menschen ein Studium beginnen, dann beginnt oft ein neuer und spannender Lebensabschnitt. Neben dem Studium stehen auch einige, altersentsprechende Entwicklungsaufgaben an wie die Ablösung vom Elternhaus, das weitere Entwickeln einer eigenen Identität etc. Zudem müssen sich viele ein neues, freundschaftliches Netzwerk aufbauen, was Energie, Zeit und Geduld erfordert. Bezogen auf das Studium sehe ich als größte Herausforderung, dass die gewohnte, externe Struktur wie in der Schule nicht mehr in der Form vorhanden ist und man sich nun selbst strukturieren muss. Der Lernstoff steht wie ein riesiger Berg vor einem und nun muss man sich die Aufgaben selbst „portionieren“. Das kann sehr überfordernd sein. Die Fähigkeit, Prioritäten zu setzen und Entscheidungen zu treffen, was man leisten kann und will, muss entwickelt werden. Denn ein „ich habe für heute genug gemacht – Gefühl“ stellt sich nicht von selbst ein. Besonders in den Semesterferien kann das noch schwieriger werden, wenn die verbindlichen Termine für Seminare und Vorlesungen nicht mehr vorhanden, aber einige Hausarbeiten zu bewältigen sind. Je nach Persönlichkeitsstruktur kann das gut funktionieren oder eben auch nicht.
Auch sehr schwierig ist der Übergang in die Phase nach dem Abschluss. Dies ist eine unsichere Zeit, in der sich Studierende mit Gedanken wie „ich weiß noch nicht, wo und wie es danach weitergeht“ quälen.
Probleme sind Aufgaben, an welchen wir wachsen können. Es geht also weniger darum, Probleme zu verhindern, sondern um die Frage, wie Studierende damit umgehen können.
Ich denke, die wichtigste Grundlage für jeden Menschen ist es, zu lernen, gut „für sich zu sorgen“. Dazu gehört zunächst einmal ein guter Zugang zu sich selbst, sich selbst verstehen zu können und auch sich selbst verständnisvoll zu begegnen. Oft ist die erste Reaktion auf Probleme das Vergleichen mit Anderen und darauf basierend eine dementsprechende eigene Abwertung. Dabei ist der Gedanke „alle bekommen es gut und leicht hin – nur ich nicht“ ein Fehlschluss. Die Studierenden geraten in einen Teufelskreis aus Vermeidung und Scham und natürlich kann es dann wirklich eng werden mit den Abgaben bzw. Studienleistungen. Ein weiterer belastender Faktor ist die zu enge Verknüpfung der eigenen Arbeitsleistung an den Selbstwert. Es braucht in solchen Fällen immer positives Feedback und gute Leistungen, um seelisch stabil zu bleiben. Während der Schulzeit kann das funktionieren, aber im Studium kann sich dies als stark blockierender „Glaubenssatz“ zeigen. Solche Glaubenssätze können dann in allen Phasen des Studiums oder aber auch als Mitarbeitende an einer Universität starke Auswirkungen auf das Arbeitsverhalten haben.
In unserer Arbeit ermutigen wir die Studierenden, ihre Bedürfnisse wahrzunehmen und klar zu kommunizieren. Hier geht es auch um die Frage „wer und wie bin ich eigentlich?“ Was kann ich gut und macht mir Freude und was nicht? Die Studierenden können lernen, sich selbst besser einzuschätzen und sich in ihrer Individualität wertzuschätzen.
Bezogen auf das Studium können dann persönliche Entscheidungen getroffen und kommuniziert werden, z.B. wo und wann kann ich am besten arbeiten? Hilft mir ein Wochenplan oder eine Lerngruppe? Welches Gruppenangebot des Studierendenwerks kann mich unterstützen? Kann ich die Dozierenden bitten, mich enger anzubinden, weil ich zum Aufschieben neige?
Auch die Mitarbeitenden der Universität können in ihrer Kommunikation mit den Studierenden eine Offenheit gegenüber typischen Problemen im Studium schaffen und die Studierenden ermutigen, ihren eigenen Weg im Studium zu finden. Ich sehe hier die Lehrenden als wichtige Schnittstelle zu unserer Beratung und erlebe viele Lehrende als sehr engagiert dahingehend.
Was sollten Lehrende tun, wenn sie vermuten oder bemerken, dass ein Student oder eine Studentin psychosoziale Probleme hat? Wie kann sensibel auf ihre Bedürfnisse eingegangen werden?
Ich denke, wenn die Lehrenden gut über unsere Angebote informiert sind, dann können sie dies auch völlig anlasslos und unverfänglich in ihren Veranstaltungen erwähnen. Eine Gruppe zu besuchen, um sich persönlich weiterzuentwickeln, ist kein Stigma.
Wenn Lehrende Studierende als stark belastet wahrnehmen, dann können Sie unter vier Augen mit dem Studenten oder der Studentin sprechen. Bei großen Unsicherheiten, wie man das ansprechen soll, kann man die Befürchtung vorwegnehmen (z.B.: „Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich furchtbar irre und Sie mir hier gleich vom Stuhl hopsen, ich möchte gerne etwas mit Ihnen besprechen, weil ich mir Sorgen mache“…) und sich vorab die Erlaubnis geben lassen (…“wäre das ok für Sie?“). In der Folge wäre es wichtig, bei Ich-Botschaften zu bleiben, also nur das mitzuteilen, was man selbst beobachtet hat und das auch als eigene Beobachtung zu kennzeichnen. Der Student bzw. die Studentin muss sich nicht dazu äußern, sondern nur wenn er/sie dies auch möchte. An dieser Stelle wäre es gut, an unsere Beratung zu verweisen. Studierende können über unsere WebseiteExterner Link ganz unkompliziert online Termine buchen und sich auch das passende Format aussuchen. Zudem bieten wir donnerstags zwischen 13 und 15 Uhr eine offene Sprechzeit in der allgemeinen Sozialberatung im KuBIS an, um kurzfristig ein Gespräch bekommen und herausfinden zu können, ob das Anliegen für eine Beratung passt oder welche anderen Ansprechpartner passend wären. Es wäre gut, wenn die Lehrenden die offene Sprechzeit kennen und an die Studierenden kommunizieren. Auch ein Hinweis auf unsere Gruppenangebote allgemein kann von Lehrenden gern gegeben werden.
Was können Lehrende tun, die bei sich selbst Probleme oder Einschnitte in Gesundheit, Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit bemerken?
Für Lehrende gilt das Gleiche wie oben für die Studierenden beschrieben. Es geht immer um die Frage: Was brauche ich gerade und was hält mich davon ab, gut für mich zu sorgen? Lehrende können bei uns ein bis zwei Beratungen in Anspruch nehmen. Oft hilft dies schon, die Problematik einzukreisen und sich zu sortieren. Gemeinsam kann dann geschaut werden, welche weiteren Hilfen möglich sind.
Welche spezifischen Angebote können Sie in der psychosozialen Beratungsstelle machen?
Neben der Einzelberatung bieten wir auch Paarberatung an. Zudem können wir Beratung auch in Englisch anbieten. Wir haben viele Formate über die Beratung möglich ist, so zum Beispiel die schreibbasierte Onlineberatung, die völlig anonym ist, die telefonische Beratung, die Beratung per Video-Online Format und den Beratungsspaziergang.
Ganz besonders möchte ich unsere Gruppenangebote empfehlen. Der Austausch mit anderen Studierenden wird als sehr hilfreich und entlastend empfunden. Oft werden hier auch Kontakte geknüpft, die über das Gruppenangebot hinausreichen. Die Gruppenangebote sind auch auf der Homepage zu finden und widmen sich thematisch den größten Herausforderungen im Studium. So kann die Online-Gruppe „Miteinander studieren“ helfen, die Arbeitswoche zu strukturieren und sich mit weiteren Studierenden auszutauschen. „Stark in die Prüfung“ widmet sich der Prüfungsangst und der Kurs „Achtsam durchs Studium“ kann helfen, Stress abzubauen und besser mit Stress umzugehen.
Kontakt zur Psychosozialen Beratung des Studierendenwerks
https://www.stw-thueringen.de/beratung/psychosoziale-beratung/Externer Link