Kompetenzorientiertes Arbeiten

Lehre NACHGEFRAGT

Newsletter Lehre 02 2021
Kompetenzorientiertes Arbeiten
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Sechs Fragen an Dr. Barbara Schmidt zum Thema Zukunft akademischer Prüfungsformate – Fördern wir stumpfes Auswendiglernen oder wissenschaftliches Denken und intellektuellen Überblick?

Dr. Barbara Schmidt
Dr. Barbara Schmidt
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Dr. Barbara Schmidt ist eine junge Wissenschaftlerin, die an der Uni Jena Bewusstseinszustände unter Hypnose erforscht. In der Lehre ist ihr besonders wichtig, die Studierenden über eigene Erfahrungen und praktische Übungen dazu zu bringen, den Lernstoff nicht zu konsumieren, sondern ihn zu verstehen und dadurch zu verinnerlichen. Aufgrund der pandemiebedingten Lage entschied sie sich im Wintersemester für ein digitales Prüfungsformat und nutzte erstmals eine Open-Book-Klausur für die Überprüfung der Lernergebnisse bei ihren Studierenden.

Die Corona-Krise hat Sie, wie zahlreiche Lehrende, dazu gezwungen, Ihre geplanten Prüfungen in ein digitales Format zu überführen. Welchen Weg sind Sie hierbei gegangen und warum?

Ich habe schon vor der Corona-Krise in meinen Seminaren großen Wert auf die interaktive Diskussion der Inhalte gelegt. In meinem Seminar, in dem ich Hypnose-Grundlagen lehre, sind auch viele praktische Übungen enthalten, so dass die Studierenden selbst erfahren können, wie es sich anfühlt unter Hypnose zu sein und auch selbst lernen, eine Hypnose anzuleiten. Daher wusste ich, dass meine Studierenden in der Lage sind, Transfer-Fragen zu beantworten und habe mich daher für eine Online-Klausur im Open-Book-Format entschieden.

Warum haben Sie sich dafür entschieden, stärker kompetenzorientiert zu prüfen? oder: Warum haben Sie sich für ein Prüfungsformat entschieden, das den Studierenden mehr abverlangt als pures Auswendiglernen?

Meine Studierenden haben mir bereits in früheren Seminaren rückgemeldet, dass meine kompetenzorientierten Prüfungen ihnen das Gefühl geben, die Inhalte wirklich verstanden zu haben. Das ist sehr wichtig, denn dieses Gefühl erhöht zum einen die Wahrscheinlichkeit, dass die Studierenden die gelernten Inhalte tatsächlich anwenden, und zum anderen fördert es die Selbstwirksamkeit und damit das allgemeine Wohlbefinden. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich den Studierenden mehr zutrauen kann als Auswendiglernen. Die Studierenden freuen sich darüber, dass sie ernst genommen und respektiert werden. Ich bin davon überzeugt, dass auch andere Lehrende positiv überrascht werden können, wenn sie ihren Studierenden einfach mehr zutrauen!

Welche Kompetenzen sollten die Studierenden in Ihrer Lehrveranstaltung erwerben? Welche Kompetenzen haben Sie geprüft?

Meine Studierenden haben in meinem Seminar gelernt, was Hypnose bedeutet, wie man Hypnose anwendet und welche wissenschaftlichen Befunde es dazu bereits gibt. Dabei habe ich auch alternative Formate gewählt, wie betreute Übungen in Zweiergruppen in Einzeltherapieräumen, die Präsentation von Inhalten über selbst erstellte Audio-Podcasts, die im Dialogformat Wissen vermitteln, und einen Science Slam am Ende des Seminars mit unterhaltsamen Kurzvorträgen zum Thema Hypnose. Geprüft habe ich in vier Abschnitten: Konzepte, Methoden, Anwendung und Transfer. Dazu gab es jeweils zwei offene Fragen.

Können Sie ein Beispiel für eine Prüfungsfrage nennen?

Eine Frage, die gut differenziert hat, war die Transfer-Frage: „Was haben Suggestionseffekte und Placebo-Effekte gemeinsam?“. Hier habe ich erwartet, dass es in beiden Fällen um Erwartungseffekte geht. Eine Anwendungs-Frage war: „Wie würden Sie einer Person suggerieren, dass sie keinen Schmerz spürt? Wie sollten Suggestionen generell formuliert sein, damit sie gut funktionieren?“. In beiden Fällen teste ich Kompetenzen, die nicht einfach in den Unterlagen nachzuschlagen waren. Meine Studierenden berichteten nach der Klausur, dass sie ihre Unterlagen auch gar nicht viel benutzt haben. Die Sicherheit, sie im Bedarfsfall benutzen zu können, hat ihnen aber geholfen.

Jan-Martin Wiarda beschreibt in seinem Blog Open Book und Kompetenzorientierung als die bessere Alternative für das akademische Prüfen. Können Sie dem zustimmen?

Dem kann ich voll zustimmen. Ich freue mich, dass die Umstellung auf digitale Prüfungsformate nun ein Umdenken erfordert. Ich hoffe, dass es auch langfristige Folgen haben wird. Ich mag die Formulierung von Herrn Wiarda sehr, dass ein Klima des intellektuellen Vertrauens gefördert wird durch Open-Book-Klausuren. Das finde ich sehr erstrebenswert und macht die Lehre für Lehrende und Studierende zu einer gewinnbringenden Erfahrung! Ich gehe auf jeden Fall nach jeder Sitzung mit meinen Studierenden beschwingt heraus, weil ich die Arbeit mit so hoch motivierten und klugen jungen Leuten als sehr bereichernd empfinde!

Welchen Rat würden Sie anderen Lehrenden mit Blick auf digitale Prüfungen mitgeben?

Trauen Sie Ihren Studierenden mehr zu! Sie werden überrascht sein, was sie zu leisten in der Lage sind! Als Erstes kommt häufig eine etwas unsichere Reaktion im Sinne von: „Meinen Sie das jetzt wirklich ernst? Ich kann hier meine eigenen Interessen einbringen und die Darstellung der Inhalte ist nicht exakt vorgeschrieben?“ Diese Unsicherheit löse ich mit einer Vorbesprechung vor Referatsterminen mit den Studierenden und finde im Gespräch mit ihnen heraus, was sie genau an dem zu behandelnden Thema interessiert. Dann wird das Referat ein Selbstläufer und die Studierenden können sich selbst verwirklichen. Dadurch werden die Seminartermine sehr lebendig und interaktiv, man spürt förmlich die Motivation und Begeisterung der Studierenden, das gibt richtig Energie! Wenn ich ein solches Seminar leite, kann ich dann ganz einfach eine Open-Book-Klausur schreiben, weil die Studierenden durch die vielen Diskussionen und eigenen Erfahrungen bestens darauf vorbereitet sind, komplexe Fragen zu beantworten, die über einen puren Abruf von Wissen hinausgehen. Auch die Korrektur solcher Klausuren macht sehr viel Freude! Ich bin meist ganz gerührt, was da alles für Antworten kommen. Die Studierenden haben das Seminar zu ihrem gemacht und das ist das Beste, was passieren kann! Ich wünsche Ihnen allen diese wunderbaren Erfahrungen. Natürlich erfordert es Hingabe und Mut, aber es lohnt sich! Hier noch ein Zitat von Konfuzius zum Thema:

 

Erzähle mir und ich vergesse. Zeige mir und ich erinnere. Lass es mich tun und ich verstehe.

(Konfuzius, chin. Phiolsoph 551-479 v. Chr.)

In diesem Sinne: Lassen Sie uns Lehre machen, die uns alle bereichert und unserem Bildungsauftrag als Hochschullehrende in vollem Umfang entspricht!

Veranstaltungsempfehlung

Diskurswerkstatt 'Digitales Prüfen' im Rahmen des E-Learning-Tages am 14.06.2021, 15 Uhr

Dr. Barbara Schmidt: Mit Open Book Klausuren ein Klima des intellektuellen Vertrauens schaffenExterner Link