Meldung vom: | Verfasser/in: Stephan Laudien
Am 9. November wird in ganz Jena bei der Aktion »Klang der Stolpersteine« der Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Orte des Gedenkens sind vorrangig die Stolpersteine, die der Kölner Künstler Gunter Demnig seit 1996 als Mahnmale wider das Vergessen in ganz Europa verlegt. In diesem Jahr gibt es jedoch ein Novum: Erstmals richtet sich ein Fokus der Veranstaltung auch auf Täterorte in der Stadt. Darunter sind Gebäude der Friedrich-Schiller-Universität, etwa die Kahlaische Straße 1, in der sich seit 1935 die »Anstalt für Menschliche Erbforschung und Rassenpolitik« befand.
Der Biologiedidaktiker apl. Prof. Dr. Uwe Hoßfeld verweist zudem auf die August-Bebel-Straße 4, einst Sitz des Erbgesundheitsobergerichts, und das Universitätshauptgebäude (Fürstengraben 1). »Im Hauptgebäude wirkte der Rektor Karl Astel, der die Universität Jena zur SS-Musteruniversität umgestalten wollte«, sagt Hoßfeld. Ein weiterer Gedenkort ist die Bachstraße 18. Dr. Karl Porges, ebenfalls Biologiedidaktiker an der Universität Jena, erinnert an die Sterilisationen, die in der einstigen Frauenklinik während der NS-Zeit vorgenommen wurden. »Bis heute wird diese Opfergruppe öffentlich kaum wahrgenommen«, sagt Porges. Umso wichtiger sei bürgerschaftliches Engagement, weit über den 9. November hinaus.
Schweigen über die Verbrechen hält bis heute an
Gemeinsam mit zahlreichen weiteren Autorinnen und Autoren hat Karl Porges gerade das Buch »NS-Eugenik-Verbrechen und ihre Folgen« herausgegeben, es trägt den Untertitel »Historische Analysen und pädagogische Impulse« (Verlag Beltz Juventa 2025, 299 Seiten, ISBN 978-3-7799-9009-3). Darin wird auch der Umgang mit Thüringer Täterorten diskutiert und biographische Skizzen von Opfern der sogenannten Aktion T4 vorgestellt; Menschen, die als lebensunwert eingestuft, entrechtet und ermordet wurden. Als vorbildlich lobt Karl Porges die Initiative von drei Schülerinnen aus Stadtroda, die im Rahmen ihrer Seminarfacharbeit eine Stolperschwelle verlegen ließen und ebenfalls am Klang der Stolpersteine teilnehmen werden. »Sie haben damit die Gedenkkultur in ihrem Ort weiterentwickelt und den Opfern eine Stimme gegeben«, sagt Karl Porges. Halte das Schweigen über diese Verbrechen doch bisweilen sogar in den betroffenen Familien an.
Auseinandersetzung mit den Biografien der Täter
Es sei durchaus kontrovers diskutiert worden, die Täterorte in der Stadt ins Gedenken am 9. November einzubeziehen, sagt Prof. Dr. Gerhard Paulus. Der Physiker von der Universität Jena hat 2016 gemeinsam mit Till Noack und Klaus Wegener die Aktion »Klang der Stolpersteine« ins Leben gerufen. »Uns ist es wichtig, das Gedenken an die Vergangenheit mit einem Blick in die Zukunft zu verknüpfen«, sagt Gerhard Paulus. Das heiße, sich heutigen rassistischen und antisemitischen Meinungen entgegenzustellen. Es liege im ureigensten Interesse der Universität, sich für ein weltoffenes Thüringen einzusetzen, für die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Im Namen einer »arischen Physik« seien schon einmal alle Prinzipien des Faches verneint und durch die Vertreibung und Ermordung jüdischer Wissenschaftler ein bis heute nachwirkender Schaden angerichtet worden. Die Aufklärung über solche verhängnisvollen Entwicklungen mache es erforderlich, sich auch mit den Biografien der Täter zu beschäftigen.
Ein klares Zeichen für ein weltoffenes Thüringen senden
Der Präsident der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Prof. Dr. Andreas Marx, begrüßt das Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausdrücklich: »Die Lehre der Vergangenheit kann nur heißen, sich heute entschieden gegen jede Form von Hass und Intoleranz zu stellen. Indem an das Unrecht von damals erinnert wird, senden wir zugleich ein klares Zeichen für ein weltoffenes Thüringen«, so Andreas Marx.