- Forschung
Meldung vom: | Verfasser/in: Sebastian Hollstein
Doktorand Clemens Bock mit einem der gefundenen Steinartefakte.
Foto: Clemens Pasda (Universität Jena)Das Leben vieler Inuit auf Grönland war über Jahrtausende geprägt von einem regelmäßigen Rhythmus: Den Winter über fischten sie an der Küste und erlegten Wale, Robben und andere Meeressäuger, im Sommer zogen sie ins Inland und jagten Karibus (Rentiere). Während die meist über einen längeren Zeitraum genutzten Siedlungen an der Küste archäologisch gut erforscht sind, weiß man über das mobilere Leben im Sommer weitaus weniger.
Deshalb haben sich Archäologen der Professur für Urgeschichte der Friedrich-Schiller-Universität Jena im Sommer 2025 auf die Spuren der arktischen Karibujäger begeben und machten dabei eine bemerkenswerte Entdeckung: Erstmals fanden sie im Inneren der Halbinsel Nuusuaq im Westen Grönlands Steinartefakte, die belegen, dass dort bereits vor unserer Zeitrechnung Inuit der sommerlichen Jagd nachgingen. Die Expedition fand unter dem Patronat des »Grönländischen Nationalmuseums und -archivs« statt.
»Es gab mindestens zwei Besiedlungswellen durch Inuit auf Grönland, die beide von Alaska ausgingen: Erstmals erreichten um 2500 v. Chr. die sogenannten Paläo-Inuit die Insel, die um den Beginn unserer Zeitrechnung jedoch wieder verschwanden. Eine zweite Phase – die sogenannte Thule-Kultur – begann etwa um 1200 n. Chr. Von ihr stammen auch die heute noch in Grönland lebenden Inuit ab«, erklärt Prof. Dr. Clemens Pasda von der Universität Jena. Während beider Phasen, bis in die 1950er Jahre hinein, pflegten die Arktisbewohner hier die jahreszeitlich bedingte halbnomadische Lebensweise, die sich über die Jahrtausende hinweg kaum veränderte.
Sommercamp und Karibu-Fanganlage
Deshalb stießen Clemens Pasda und sein Doktorand Clemens Bock während ihrer vierwöchigen Expedition im Bereich des Karibujägerlagers Nernartuut (was übersetzt so viel wie »Ort mit vielen Steinbrechblumen« bedeutet) auf der Halbinsel Nuussuaq auf zahlreiche Reste von Strukturen, die Inuit gebaut haben. »Wir sehen vor allem die Reste von Übernachtungsstrukturen, also kleinen, runden bis rechteckigen Steinmauern, die entweder als Außenwände von größeren Zelthäusern oder als Windschutz von sogenannten Jägerbetten, die kein Dach besaßen, dienten«, erklärt Clemens Pasda. »Leder, Holz und anderes organisches Material hat sich in der rauen Umgebung nicht erhalten.«
Außerdem fanden die Archäologen Karibu-Fanganlagen, also über mehrere hundert Meter aufgereihte Steinmännchen, die dazu gedient haben, die Karibus in einen See oder zu Jagdansitzen zu leiten, wo die Jäger sie einfacher erlegen konnten. Ihre Beute lagerten die Inuit in Fleischdepots unter kleinen Steinhaufen, deren Reste sich heute ebenfalls noch finden.
Trotz der über die Jahrhunderte hinweg ähnlich gebliebenen Behausungen machten die Jenaer Experten eine Entdeckung, die bei der Datierung hilft: »Mein Kollege Clemens Bock fand Steinwerkzeuge, die nur in der frühen Phase vor 4500 bis 2000 Jahren verwendet wurden«, sagt der Jenaer Urgeschichtler. »Dadurch wissen wir jetzt sicher, dass die Inuit dieses Jagdrevier, das ungefähr halb so groß wie Thüringen ist, bereits in dieser Zeit aufsuchten.«
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