Soziales Imaginieren als Netzwerk aus Menschen und Medien

Forschung

weiterführende Informationen zu Forschungsprogramm und Forschungsstruktur von Imaginamics
Soziales Imaginieren als Netzwerk aus Menschen und Medien
Grafik: KI-generiert (Adobe Stock)

Social Imagining – Konturen des Forschungsprogramms

Gesellschaftliches Zusammenleben setzt nicht nur das Funktionieren von Regelwerken, Verfahren und Institutionen voraus, sondern auch gemeinsam geteilte Vorstellungen, Narrative und Bilder. Die Praktiken des Teilens solcher Vorstellungen, Narrative und Bilder nennen wir ‘soziales Imaginieren’. Sie tragen dazu bei, gemeinsame, intersubjektiv anerkannte Vorstellungswelten zu erschaffen, die alltagsweltliche Orientierung und Halt bieten.

Soziales Imaginieren kann Gesellschaften zusammenhalten und Solidarität fördern, aber auch Differenzen und Spaltungen erzeugen. Es kann Einheit und Zusammenhalt stiften, aber auch zu Formen der Ausgrenzung und Gewalt führen. Es kann soziale Strukturen stärken und stabilisieren, aber auch in Bewegung versetzen und Veränderungen anstoßen. Die aktuellen Debatten zur Klimakrise und zur ökologischen Zukunft des Planeten, die öffentlichen Deutungskämpfe um die Pandemie, die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, die Zukunft der Demokratie und die Wiederkehr rechtsextremer Vorstellungswelten zeigen, wie relevant und aktuell das Thema für unsere Gegenwart ist – in Deutschland und weltweit.

Der Exzellenzcluster Imaginamics trägt auf innovative Weise zur Erforschung dieses weitreichenden Forschungsfeldes bei, indem er den Blick auf den Prozess des Imaginierens selbst – seine Praktiken, Dynamiken und historischen Entwicklungen – richtet.

Der Exzellenzcluster Imaginamics zielt auf ein umfassendes Verständnis sozialen Imaginierens ab. (1) Hierzu verbindet er kultur-, geistes- und sozialwissenschaftliche Forschungsansätze miteinander; (2) er verknüpft theoretische Grundlagenarbeit mit empirischen Untersuchungen und digitalen Explorationen; (3) er erweitert die bislang geführten Debatten um eine epochen- und kulturübergreifende Perspektive; (4) er erarbeitet ein Instrumentarium, um soziale Dynamiken genauer zu beschreiben, zu erklären und einen reflektierten Umgang mit ihnen zu ermöglichen.

Strukturell ist Imaginamics in der Forschungsprofillinie LIBERTY der Universität Jena verankert. Zum Themenfeld des sozialen Imaginierens forschen bereits jetzt Wissenschaftler*innen in frühen Karrierestufen:

Struktur des Forschungsprogramms

Structure of the research programme of Imaginamics

Foto: werkraum_media, D–99423 Weimar

Das Forschungsprogramm von Imaginamics ist in drei Research Areas untergliedert, in denen das Potential des Forschungsansatzes anhand konkreter Fallstudien entfaltet wird und die ihrerseits über drei Querschnittsbereiche (Hubs) verbunden sind. Die Research Areas und Hubs werden von Beginn an als dauerhafte übergreifende Struktur implementiert, in deren Rahmen wechselnde Arbeitsgruppen von 2 bis 4 Jahren Dauer eingerichtet werden. Auf diese Weise verbindet Imaginamics eine stabile Struktur und eine wissenschaftliche Langfristperspektive mit viel Freiraum für Bottom-up-Initiativen und einer produktiven Offenheit zur Weiterentwicklung der Forschungsagenda.

Research Area 1: Imagining Difference

Research Area 1: Imagining Difference fragt nach der Rolle von sozialen Imaginationen bei der Konstitution von Differenzkategorien in globaler und transkultureller Hinsicht. Soziale, ökonomische, kulturelle, religiöse, körperliche und ethnische Differenzen und ihre Ausgestaltung sind grundlegende Phänomene gesellschaftlichen Lebens. Die Betonung von Differenz steht für die Grenzziehung zwischen Ego und Alter, eigen und fremd; sie kann der Ordnungsstiftung und der Reduktion von Unbestimmtheit ebenso dienen wie der kategorialen Ab- und Ausgrenzung des Anderen, aber auch seiner exotistischen Überformung oder der Öffnung von Zonen der Mehrdeutigkeit und Ambivalenz. Die Herstellung von Differenz – und damit zusammenhängend auch Einheit und Identität – hängt, ob ursächlich oder als Effekt, eng mit verschiedensten Praktiken des Imaginierens zusammen, die in diesem Bereich umfänglich untersucht werden.

Research Area 2: Imagining Crises and Temporalities

Research Area 2: Imagining Crises and Temporalities betrachtet soziales Imaginieren in seiner zeitlichen Dimension, insbesondere unter den Bedingungen krisenhafter Verdichtung. Ausgehend von der These, dass Dynamiken sozialer Imaginationen in Krisensituationen besonders stark sind, wird untersucht, wie und aus welchen Elementen soziale Imaginationen von Krisen konstruiert, empfunden, emotionalisiert und kommuniziert werden, und wie soziale Imaginationen zur Dynamik von Krisen und zum Krisenmanagement beitragen. Dabei haben soziale Imaginationen fiktionale und mythische Anteile, umfassen Bruchstücke von Historie und Tradition, zentrale Metaphern und imaginäre oder manifeste Bilder, wodurch eine kreative Kraft mit oft utopischen oder dystopischen Überschüssen geweckt wird. Ein Schwerpunkt liegt hier auf den für die Gegenwart besonders relevanten sozialen Imaginationen angesichts der Klimakrise und des Anthropozän; sie werden in enger Kooperation mit dem neuen Max-Planck-Institut für Geoanthropologie bearbeitet.

Research Area 3: (Re-)Imagining Democracy

Research Area 3: Reimagining Democracy nimmt seinen Ausgangspunkt von den aktuellen Herausforderungen parlamentarischer Demokratie. Diese haben die gängige Annahme, heutige Gesellschaften würden durch moderne ‚social imaginaries‘ (Charles Taylor) zusammengehalten, grundsätzlich in Frage gestellt. Untersucht werden Praktiken, mit denen alternative politische Vorstellungen generiert und verbreitet werden. Dieser Zugang eröffnet die Möglichkeit, konkurrierende politische Entwürfe nicht nur auf ihre jeweiligen Gehalte hin zu analysieren, sondern in ihrer Wirkungsmacht als nicht selten situativ artikulierte, kontingente und emotional hoch aufgeladene Botschaften zu untersuchen. Die enge Zusammenarbeit mit den Weimarer Medienwissenschaften erlaubt es, die hohe Dynamik digitaler Medien historisch und zeithistorisch präzise zu verorten.

Theory Hub

Der Theory Hub widmet sich der begrifflichen Klärung und der weiteren theoretischen Ausdifferenzierung des Leitkonzepts ‚sozialen Imaginierens‘ auf einer praxistheoretischen Basis. Offene Fragen in Kultur- und Sozialtheorien aufgreifend, zielt der Theory Hub darauf, einen übergreifenden Theorierahmen zu entwerfen, der die Voraussetzungen, das Funktionieren und die Wirkungen sozialen Imaginierens zum Gegenstand hat. Dabei entwickelt der Hub selbst in modellhafter Weise Praktiken der Theoriearbeit weiter, indem er sich der Herausforderung stellt, eine Vielzahl unterschiedlicher Begriffe und Theorie zueinander ins Verhältnis zu setzen.

Digital Hub

Der Digital Hub schlägt Brücken zwischen geistes- und sozialwissenschaftlicher Forschung und anwendungsorientierten Projekten in der Informatik. Im Mittelpunkt steht die Beziehung zwischen (Medien-)Technologie und Praktiken sozialen Imaginierens, insbesondere im Hinblick auf die Transformation von kollektiven Vorstellungswelten durch Algorithmen und virtuelle Räume. Untersucht wird nicht nur, auf welche Weise digitale Technologien und Medien in den Prozess sozialen Imaginierens eingreifen. In enger Zusammenarbeit mit der Informatik entwickelt der Digital Hub darüber hinaus technologische Grundlagen, um die Frage sozialer Imagination mit Hilfe fortgeschrittener Forschungswerkzeuge bis hin zur Weiterentwicklung von Technologien der Sozialen Virtuellen Realität (SVR) erforschen zu können.

Public Hub

Im Public Hub interagieren akademische Forschung, außeruniversitäre Forschung, Bürgerwissenschaft und Zivilgesellschaft. Die hohe gesellschaftliche Relevanz des Forschungsthemas aufgreifend, versteht er sich als Erprobungsraum für neue Formen des Dialogs zwischen Wissenschaft und außeruniversitärer Öffentlichkeit. Diese Netzwerkfunktion stützt sich auf die umfangreiche Expertise der beteiligten Kooperationspartner in der kulturpolitischen Arbeit und Wissenschaftskommunikation, u.a. der Klassik Stiftung Weimar, der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora sowie der Stiftung Ettersberg.