Nachhaltige und gefährdete Wissenschaft

Nachhaltige Wissenschaft ist mehr als die - wichtige und weiterhin vernachlässigte - Orientierung darauf, in der wissenschaftlichen Tätigkeit ökologische Schäden gering zu halten, etwa indem man den Materialverbrauch und Flugkosten einschränkt. Zu überlegen ist vielmehr, ob die Wissenschaft als soziale Institution nachhaltig organisiert ist, also in einer Weise, die auch ihre zukünftige Arbeitsfähigkeit gewährleistet. Die Weichenstellungen der letzten Jahrzehnte stellen dieses Ziel deutlich infrage. Die Strukturen wissenschaftlicher Beschäftigung wurden im neoliberalen Geist immer weiter prekarisiert, sodass qualifizierte junge Wissenschaftler*innen massenweise in die berufliche Existenzsorge und schließlich häufig zum Aufgeben getrieben wurden. Wer umgekehrt bereits früh den Sprung auf die Professur schafft, sieht sich dort oft Aufgaben gegenüber, für die sie oder er gar nicht ausgebildet ist. Alle spüren den Druck und die partielle Absurdität der Anforderungen, die für Erfolg im System inzwischen gestellt werden: die Einwerbung großer Summen von 'Drittmitteln', die wichtiger zu sein scheint als deren sinnvolle Verwendung, die Konkurrenz um Publikationen in viel zitierten und stark nachgefragten Zeitschriften, deren Begutachtungsprozesse entsprechend zäh und abweichungsfeindlich ausfallen, generell die dauernde Bemühung um die eigene (institutionelle) Reputation. Zugleich wird in diesen Prozessen viel öffentliches Geld verbrannt.

Der Vortrag präsentiert Vorschläge für Beschäftigungsformen, Strukturen der Forschungsfinanzierung und Weisen wissenschaftlichen Publizierens, die diese Probleme beheben könnten und stattdessen wieder verlässliche Umgebungen schaffen würden, in denen wissenschaftliche Neugier gedeihen kann. Abschließend wird auch gefragt, wie dies unter Bedingungen sinkenden Studieninteresses und wachsender autoritärer Bedrohungen der Wissenschaftsfreiheit gelingen kann.

Prof. Dr. Tilman Reitz ist Professor für Wissenssoziologie und Gesellschaftstheorie an der Friedrich-Schiller-Universität. Mehr Informationen finden Sie hier.