Gruppenfoto in den Ruinen eines römischen Bades in Chester

„Northern Pride"

Englische Fachdidatik reist mit Studierenden nach Manchester, Liverpool und Chester
Gruppenfoto in den Ruinen eines römischen Bades in Chester
Foto: Laurenz Volkmann
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Meldung vom: | Verfasser/in: Prof. Dr. Laurenz Volkmann

Angeregte Diskussion einer Aktivität am St Peter's Square, Manchester

Foto: Laurenz Volkmann

Berlin ist nicht Deutschland, New York nicht die USA und London nicht das Vereinigte Königreich – daher war die Perspektive der einwöchigen Exkursion des Lehrstuhls für Englische Fachdidaktik im Juni 2025 auf eine bei schulischen Reisen eher weniger frequentierte Region Englands gerichtet. Unter dem Motto „Northern Pride – Excursion to Manchester, Liverpool and Chester” sollten die Teilnehmenden ihr Hauptaugenmerk auf die soziokulturellen und ökonomischen Transformationsprozesse richten, die in den einstigen Geburtsstädten der Industriellen Revolution Mentalität, kulturelle Praktiken und immer wieder deutlich sichtbar die Architektur verändert haben. Manchester und Liverpool galten im 19. Jahrhundert als Zentren der von der Textil-, Stahl-, Kohle-, Maschinen- und Transportindustrie vorangetriebenen Industriellen Revolution. Ein Merkspruch lautete entsprechend: „Sheffield makes steel, Manchester makes cotton, Liverpool moves it all.” Dabei beruht der frühere Reichtum Liverpools auf seiner Funktion als Umschlaghafen des transatlantischen Handelsdreiecks zwischen England, Afrika und den West Indies sowie den nordamerikanischen Kolonien. Dieser noch im Städtebild sichtbare Reichtum wurde jedoch auch durch den grausamen Sklavenhandel ermöglicht. Die Hochzeiten des Handelsreichtums und der Industriellen Revolution gingen jedoch spätestens mit dem Verlust des Empires und der Deindustrialisierung nach dem Zweiten Weltkrieg zu Ende. Seit den 1970er/80er Jahren muss sich der Norden Englands, ähnlich dem Ruhrgebiet und den Zentren der ostdeutschen Textilindustrie – Chemnitz galt als das „Manchester Sachsens” – dem Bedeutungs- und Reichtumsverlust stellen. Dieser Prozess wurde durch die seit Margaret Thatcher vorangetriebene Umwandlung hin zu einer britischen Serviceindustrie noch beschleunigt.

Bereits in den „Industrieromanen“ von Charles Dickens (Hard Times, 1854) und Elizabeth Gaskell (North and South, 1854/55) werden die Trennungslinien zwischen Nord- und Südengland einerseits sowie die soziale Kluft zwischen Arm und Reich in den Großstädten des Nordens andererseits ergründet. Sie erweisen sich als bis heute virulent und lassen sich vor allem im architektonischen Stadtbild sowie in den Erinnerungsstätten erkunden.

Entsprechend wurde eine Exkursion geplant, die einerseits die touristischen Attraktionen, wie die zahlreichen Beatles-Gedenkorte, und andererseits das alltägliche, historisch geprägte Leben der „Mancunians“ und „Liverpudlians“ berücksichtigte. Als didaktisches Leitprinzip galt somit das Ausloten des Kontrasts zwischen dem „Touristenblick“ und der Perspektive der Alltagswelt, die sich in den Vielfältigkeiten und Herausforderungen des urbanen Lebens zeigt.  Ein weiteres didaktisches Prinzip wurde ebenfalls erfolgreich umgesetzt – "Lernen durch lehren". Die teilnehmenden Studierenden organisierten, stark angeleitet von den Begleitpersonen, ihre jeweiligen Aktivitäten (in der Regel Führungen durch Stadtviertel, Museen, Kunstgalerien usw.) in Teams selbst. Im Sinne der in der Englischdidaktik etablierten Drei-Phasen-Modelle („Pre-/While-/Post-Activities“) wurden die Aktivitäten bereits im Begleitseminar in Jena eingehend vorgestellt, didaktisch ausgewertet und jeweils nach der Aktivität mit Blick auf die Umsetzbarkeit mit Schulklassen im Plenum diskutiert. Neben der Vermittlung von historischem, soziokulturellem und geografischem „Faktenwissen” wurde bei den Aktivitäten besonderer Wert auf die didaktisch-pädagogische Gestaltung gelegt. Interviewleitfäden für Gespräche mit Einheimischen, kleine „Schnitzeljagden“, Quizze, Foto-Herausforderungen und weitere Aktivitäten konnten im Sinne der „Gamification“ so spannende, anregende und zugleich lehrreiche Lehr-Lern-Szenarien schaffen.

Begleitet wurden die zwölf Lehramtsstudierenden des Fachs Englisch, die sich durch ein Motivationsschreiben hervorgetan hatten, von Professor Laurenz Volkmann (der selbst nach dem Studium zwei Jahre als Language Assistant an der Universität Manchester tätig war), der teilabgeordneten Lehrkraft Yvonne Kleine sowie der Lehrkraft für besondere Aufgaben Jenny Prozell. Letztere konnten vor allem praktische Themen einer schulischen Exkursion in die Diskussionen einbringen. Nach drei erfolgreichen gemeinsamen Exkursionen nach Georgia (USA) und London (UK) wurde die Exkursion weiterhin von Prof. Christoph Ehland begleitet, einem Spezialisten für britische Kulturgeschichte. Außerdem nahmen drei Studierende der Universität Paderborn teil. Die Teilnehmenden waren für die An- und Abreise selbst verantwortlich, organisierten sich in Gruppen und trafen sich im Stadtzentrum von Manchester, wo sie in fußläufig leicht erreichbaren Hotels untergebracht waren. Zur Hälfte der Exkursion wurde nach Downtown Liverpool gewechselt, wobei die englischen Nahverkehrszüge und -busse durch ihre Pünktlichkeit, günstige Preisgestaltung und ihren Komfort, ähnlich wie bei dem Ausflug ins nahe Chester, positive interkulturelle Lernerlebnisse verschafften.

Altes und neues Manchester bei Deans Gate

Foto: Laurenz Volkmann

Der Hauptteil des ersten vollen Tages in Manchester bestand aus einer mehrstündigen Stadterkundung. Eindrucksvoll wurde dabei die Geschichte der Stadt als Zentrum der Textilverarbeitung vermittelt: Schon der erste Stopp, das Museum of Science and Industry, bot eine eindringliche Demonstration in einer restaurierten Maschinenhalle. Der ohrenbetäubende Lärm der Textilmaschinen und die gefährlichen Arbeitsbedingungen vermittelten einen drastischen Eindruck der katastrophalen Arbeitsbedingungen zu Beginn der Industriellen Revolution. Ähnlichkeiten zu Industriemuseen in Westsachsen konnten festgestellt werden. Die Teilnehmenden waren zudem beeindruckt von der architektonischen Vielfalt der Metropole Manchester, in der sich die verschiedenen Epochen auf sehr eklektische Weise zeigen. So stehen zu teuren Lofts umgebaute Lagerhallen direkt neben leerstehenden ehemaligen Textilfabriken und im Hintergrund ragen die sich noch im Bau befindenden Hochhäuser aus glitzerndem Stahl, Beton und Eisen auf. Diese Eindrücke konnten am zweiten Tag mit einem Besuch des People's History Museum, bei Arbeitsaufträgen zu den Wandbildern im Gay Village sowie bei Streifzügen durch Chinatown und die „Curry Mile” unweit der ebenfalls besuchten Manchester University vertieft werden (hier ergaben sich fakultative Angebote).

Chinatown, Manchester

Foto: Laurenz Volkmann

In Liverpool, beim zweiten Teil der Exkursion, konnten die Studierenden am ersten Tag zwischen kulturellen, musikalischen und sportlichen Aktivitäten wählen. Sie erkundeten beispielsweise die anhaltende Bedeutung der Beatles für die Einheimischen und als Touristenmagnet und erlangten in Interviews Einblicke in die sinnstiftende Funktion von Fußballclubs wie dem FC Liverpool oder Everton. Die langen Stadterkundungen zu Fuß endeten mit einem gemeinsamen kulinarischen Erlebnis in einem asiatischen Restaurant in der belebten Bold Street.

 

"Merry Old England" bei Chester

Foto: Laurenz Volkmann

Die Stadterfahrung in Liverpool wurde durch einen Tagesausflug nach Chester unterbrochen. Chester war ein römisches Legionärslager und Grenzburg des Römischen Reiches. Die Überreste römischer Zivilisation sowie die restaurierten mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Straßenzüge bilden einen starken Kontrast zur großstädtischen Hektik der Metropolen und dienen heute vor allem als Touristenattraktion der britischen Mittelklasse.

Am letzten Tag der Exkursion beschäftigten sich die Teilnehmenden erneut mit Aspekten der Gentrifizierung, in diesem Fall mit der seit den 1980er Jahren voranschreitenden Umwandlung früherer Industrieviertel in hochpreisige Büros, Apartments und Geschäfte, speziell in den Docks am Mersey River. Besuche in Museen und Dokumentationszentren, vor allem in der modernen Kunstgalerie FACT, die sich unter anderem mit der kolonialen Vergangenheit der Stadt Liverpool auseinandersetzt, beendeten eine inhaltlich sehr reichhaltige Exkursion, die zudem mit fast durchgehend sonnigem Wetter gesegnet war.

Gruppendiskussion bei einer Statue für eine Auswanderfamilie in Liverpool (beim Royal Albert Dock)

Foto: Laurenz Volkmann

Die Studierenden sammelten so „hands-on“-Erfahrungen bei der Leitung von Gruppen, beim (Mikro-)Management von Aktivitäten und erhielten vertiefte Einblicke in urbane Settings, die stark von sozialen Gegensätzen und multikulturellen Lebenswelten geprägt sind. Ihr großes Engagement bei den von ihnen geplanten und durchgeführten Aktivitäten stellte auch für die Begleitpersonen eine wichtige Bereicherung der eigenen Perspektive dar und zeugte zugleich von der Bedeutung ko-konstruktiv erstellter Lehr-Lern-Szenarien. Diese Erfahrungen waren nur möglich, da das Zentrum für Lehrerbildung und Bildungsforschung (ZLB) unserer Universität einen Teil der finanziellen Aufwendungen übernahm.